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Helmut Herman Bechtel - Zoltán Szendi
Tradition und Modernität in der ungarndeutschen Literatur

Josef Michaelis: Anno

Josef Michaelis: Anno

(Am Grabe eines Soldaten)

BLUT
STEIN
STAUB
Namenloses Blut
Namenloser Stein
Namenloser Staub
STAUB
STEIN
BLUT

Xxxxxxxxxxxxxxxxx
A n n o

(1985)

 

 

Interpretation

Das Spiel mit der Sprache bei Michaelis geht gelegentlich in schwarzen Humor über, so auch in seinem Gedicht „Anno“ von 1985. Zur ästhetischen Wirkung tragen wesentlich im Text die typografischen Effekte bei. Während die Worte in Großbuchstaben das tragische Schicksal der gefallenen Soldaten – erstaunlich komprimiert – nur mit drei Substantiven andeuten, zugleich aber auch hervorheben, wird ihre Namenlosigkeit durch die Kleinbuchstaben unterstrichen. So wird die doppelte Tragödie – ihr sinnloser Tod und ihr anonym-massenhaftes Begräbnis – auch in dieser visuellen Form verdeutlicht. Die Wiederholung der großgeschriebenen drei Worte in einer umgekehrten Reihenfolge (STAUB – STEIN – BLUT) ergibt ferner unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten. Wird der Opfertod der Gefallenen für die Angehörigen wieder schmerzhaft lebendig, oder deutet sie die erhoffte Auferstehung (im christlichen Sinne) an? Dieser zweiten Assoziation wiederspricht (zum Teil zumindest) das Rahmenwort „Anno“.