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Helmut Herman Bechtel - Zoltán Szendi
Tradition und Modernität in der ungarndeutschen Literatur

Robert Becker: Gedankenliebe

Robert Becker: Gedankenliebe

Mein Blick umhüllt dich
Ein Kerker für dich
In meinem Gehirn trag’ ich dich
Du könntest stolz sein
du müßtest mich nicht verachten
Ich liebe dich sowieso
Gegen meine Gedanken
wehrst du dich nicht

(1990)

 

 

Interpretation

Eine (häufig vorkommende) widerspruchsvolle Situation stellt dieses Gedicht dar, in der das Ich um die Gunst der geliebten Person wirbt. Jedoch kommt dem Leser nur die einseitige Liebessehnsucht bekannt vor, und nicht die poetische Formulierung des Anspruches auf Besitz. Die Aussage des Titels lässt nämlich keinen Zweifel daran, dass diese Eroberung nur imaginär  möglich ist. Jedoch, da der Sprecher ein Dichter ist, glaubt er an die magische Kraft des Wortes, oder möchte zumindest daran glauben. Während seine Gewissheit, dass ihm diese „Gedankenliebe“ weder zu nehmen noch zu zerstören sei, ihm eine Art Trost gibt, verlautet er zugleich paradoxerweise den Dichterstolz: „In meinem Gehirn trag’ ich dich / Du könntest stolz sein“. Warum das „Du“, müsste an dieser Stelle vielleicht gefragt werden. Dabei muss aber an das künstlerische Selbstbewusstsein gedacht werden, an die unausgesprochene Annahme, dass diese Liebe keine gewöhnliche sei, weil nur sie in der Lage sei, die heiß Geliebte auf würdige Weise zu verewigen. In seiner bedingungslosen Hingabe, deren Wortlaut („In meinem Gehirn trag’ ich dich“) an Rilkes berühmtes Liebesgedicht „Lösch mir die Augen aus“ erinnert, fühlt sich das Ich doch ausgeliefert ­­(„du müßtest mich nicht verachten“), was es aber daran nicht hindert, seine Liebeserklärung kategorisch auszusprechen: „Ich liebe dich sowieso“.