Valeria Koch: In memoriam Rilke
„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn...?“
Eine rote Masche, von Mutter gestrickt,
würde wohl hinunterlaufen.
(Mutter ist in den Sorgen
der Kindheit verborgen.)
Die Flocke in meiner heißen Hand
könnte zögernd vergehn.
(Der Schnee natürlich weiter fallen.)
Allen
ein Wunsch den Kopf durchlaufen:
Hör auf, hör auf,
es ist noch früh, es ist schon spät!
(Auch wenn es Hochmittagszeit wäre.)
Und selbst der Engel müßte
den bösen Geist der Wüste
verjagen aus mir zuerst.
(Falls es diesen Engel gäbe.)
Im Gewebe
der innersten Menschlichkeit
wohnt Treue,Tod
und vielleicht
Sehnsucht nach leisem Gehör.
Wer, wenn ich schriee...?
1974
Valeria Koch: Vivaldis Herbst
– Adagio molto –
Schon sonngebräunt die Felder
die Wiese rötlich-grün
die Astern golden singend
Traumweisen im Verblühn
Vom Märchenblau der Ferne
ein Strahl fällt teichverliebt
die Nacht kommt still geschritten
und zirpt ein Wiegenlied
1977
Valeria Koch: Dichtung und Wahrheit
Willkommen gnädige Frau
begrüßte der nette Herr aus Wien
im prunkvollen Haus
die Schriftstellerin
und küßte ihr die Hand
Nach der Vorlesung
ging sie nach Haus
und putzte rasch den frischen Dreck
der alten Dame
mit derselben Hand
1984
Valeria Koch: Stammbaum
Ein Ast Goethe
ein Zweig Bartók
und die Purzelbäume
Tills dazwischen
Metzing Faulstich
Koch und Guhr
schießen aus
der kargen Flur
und fast oben
mittendrin
sucht ein Sprößling
Sonn und Sinn
1992
Josef Michaelis: Erinnerung
romantik romantik romantik
rOMAntik romantik romantik
ROM antik romantik romantik
RomANTIK romantik romantik
ROMAN tik romantik romantik
romantik romantik romantik
1990
Josef Michaelis: Bücherwurm der Zeit
. . s . . . . . h . e l . .
. o . . . . i c . a . . . s
. . s . . . . c h . e . i .
J . . e f M . . h a . . . .
1989
Josef Michaelis: Dilettant
mangelhaft mangelhaft mangelhaft
mangelhaft mangelhaft mangelhaft
mangelhaft mangelhaft mangelhaft
mangelhaft mangelhaft angel
ohne Wurm
1989
Josef Michaelis: Wortfetzen
Raum
Überall
Weltall
Zeit
Ewiger Wert
nie versteinert
Leben
Meeres Spülgut
Keimes Glut
Menschheit
Menschen
in Grenzen
Krieg
Not an Brot
Tod auf Tod
Frieden
Weiße Tauben
guter Glauben
Arbeit
Beständiges Streben
fürs vergehende Leben
Entfernung
Hier oder dort
Tat oder Wort
Schicksal
Lebende? Tote?
Nur launische Mode
Natur
Eine Handvoll Stille
ohne bittere Pille
Ehe
Fein mahlende Mühle
verrinnende Gefühle
Jugend
glauben und flammen
Linden und Tannen
1983 – 85
Josef Michaelis: Tropfen
TROPF
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1988
Josef Michaelis: Modernes Idyll
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1981
Josef Michaelis: Wortspiel
Die Spinne
in der Rinne
ist die Rinnespinne
Die Rinnespinne
in der Rinne
ist nur eine Spinne
Die Rinnespinne
ohne Spinne
ist nur eine Rinne?
1987
Robert Becker: Ursprung der Dinge
Der Grillenkönig
hat seine Geige
verschenkt.
Er gab sie
einer Schnecke.
Romulus und Remus
bekommen Regenschirme.
Der Grillenkönig
läßt noch
eine Feder fallen
und stirbt.
1988
Robert Becker: Gedankentrotz
Und
Hund
Rund
Mund
Bund
Und
Grund
Schlund
Stund‘
Und
Aber
Blond
Braun
Schwarz
Aber
Keine
Ader
Ohne
Deine
Reine
Schön-
heit!
1989
Robert Becker: Liberté
ihr seid schon befreit
beten die Christen
ihr seid schon befreit
behaupten Marxisten
ihr seid schon befreit
grunzt Amerika
aus dem Kot über die Meere
und zu Gehorsam dressiert
widerhallt es die Welt
(heute sind Sklaven
die billigsteWare)
1993
Robert Becker: Augenschlag
der Morgen geht barfuß
wie sollte er gehen
im Latschen des Abends
in Pantoffeln der Nacht
1994