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Helmut Herman Bechtel - Zoltán Szendi
Tradition und Modernität in der ungarndeutschen Literatur

Nelu Bradean-Ebinger: Haus im Banat

Nelu Bradean-Ebinger Haus im Banat

Dort drunten im Süden des Ostens
steht ein Haus
es geht niemand mehr
weder rein noch raus


Hund und Katze
nahmen Reißaus
die Ratten sind
Herr im Haus
auf den Tischen
tanzt die Maus.


Über dem löchrigen Dache
weht ein kahler Wind
in den Stuben hörst du
nie wieder lachen das Kind
im Stalle muhen das Rind
allein in den Träumen
steht sie noch, die Lind‘
vor dem Haus.


Dort drunten im Süden des Ostens
steht ein Haus
es geht niemand mehr
weder rein noch raus:
es war einmal
mein Vaterhaus.

 

Interpretation

Lenaus frühes Ungarn-Gedicht Nach Süden scheint den Leser an das lyrische Bekenntnis von Nelu Bradean-Ebinger mit dem Titel Haus im Banat zu erinnern, zumindest in der elegischen Sehnsucht. Während aber das einsame Haus im Süden bei Lenau – trotz des hoffnungslosen Liebesverlangens – einen idyllischen Ort darstellt, wird das verwaiste Heim im Süden von Ungarn mit düsteren Bildern geschildert. Die Textrhetorik stellt die vergangene und die gegenwärtige Welt einander gegenüber. Zunächst wird der trostlose Anblick des Banater Hauses, wo nun „die Ratten […] / Herr im Haus“ sind, vergegenwärtigt und erst danach werden Kindheitserinnerungen eingeblendet. Der Heraufbeschwörung der verlorener Welt folgt das Geständnis, das das Gedicht abschließt: „es war einmal / mein Vaterhaus“. Zur Poetik des Textes tragen zwei Komponenten bei. Erstens hält die dominierend sachliche Aussageform die in solchen lyrischen Situationen häufig vorkommende Sentimentalität zurück. Zweitens führt die sonst traditionelle und wenig originelle Opposition von gestern und heute, in der das Paradies der Kindheit in Erinnerung gerufen wird, weiter, zu einem tieferen und schmerzhafteren Erlebnis, das aber nicht ausgesprochen wird, dass die Heimat der meisten Ungarndeutschen mit Gewalt (durch Verschleppung, Vertreibung) vernichtet wurde.