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Helmut Herman Bechtel - Zoltán Szendi
Tradition und Modernität in der ungarndeutschen Literatur

Kindergedichte

Kindergedichte

Eine beachtliche Anzahl von Gedichten wurde zwar von Michaelis für Kinder geschrieben, können aber auch von Erwachsenen gelesen werden. Sie können als Märchen gesehen werden, die uns in die Geheimnisse der Kinderwelt führen.

 

Spruchreim

Irgendwo auf der Welt
− wie man sagt – steht ein Berg,
auf dem Berg ist ein Wald,
in dem Wald ist ein Schloss,
in dem Schloss ist ein Saal,
in dem Saal ist ein Eck,
in dem Eck ist ein Loch,
in dem Loch ist ein Kern,
in dem Kern nagt ein Wurm –
diesen Kern schluckt die Maus
und der Reim ist jetzt aus.

(1989)

 

 

Interpretation

In dieser Märchenwelt wird von der größten Raumeinheit (Berg) ausgehend sich dem kleinsten Teil (Kern) angenähert. In dem Verschachtelungsspiel bilden die letzten zwei Zeilen den humorvollen Knalleffekt, die mit Hilfe eines Reimes miteinander verbunden sind. Das System dieses Sprachspiels besteht aus einem stufenweisen Abbau einer virtuellen Welt, deren Elemente auf Wirklichkeitsmomente zurückzuführen sind. Die Verschachtelung erinnert möglicherweise an die russischen Holzpuppen, die ineinander gesteckt sind.

 

Fauler Fassbinder

Es war einmal ein Binder,
der hatte sieben Kinder,
das erste suchte Holz im Hain,
das zweite holte alles heim,
das dritte sägte wie ein Mann,
das vierte machte Feuer an,
das fünfte schlug die Reifen fest,
das sechste schaute ob’s nicht nässt,
kleinste füllte voll das Fass −
der faule Binder wurde nass.

(1988)

 

 

Interpretation

Das Gedicht schafft mit Hilfe einer ironischen Art eine humorvolle Gerechtigkeit, in dem es zeigt, dass die fleißigen Kinder dazu fähig sind, die ganze Arbeit statt des faulen Vaters zu machen, den sie ihn sogar spaßhaft bestrafen. Der Text deutet auch darauf hin, dass die Kinder deshalb diese schwere Arbeit erledigen können, weil sie zusammenhalten und – im Gegensatz zu ihrem Vater ‒ alle ihre jeweilige Aufgabe ernst nehmen.

 

Tierkonzert

Grillen zirpen, Käfer surren,
Igel schnaufen, Tauben gurren,
Ferkel quietschen, Hähne krähen,
Schweine grunzen, Schafe bähen,
Mäuse quieken, Störche klappern,
Hirsche röhren, Mücken geigen,
Pferde wiehern, Drosseln pfeifen,
Kühe muhen, Hunde knurren,
Affen schwatzen, Katzen schnurren,
Falken schreien, Ziegen meckern,
Spatzen tschilpen, Lerchen schmettern,
Sprosser schlagen, Bienen summen,
Eulen heulen, Bären brummen,
ein Esel wirkt als Dirigent,
er schaut aufs Notenpergament,
der Chor stimmt so von Zeit zu Zeit,
wenn Meister Langohr iah! schreit.

(1987)

 

 

Interpretation

Die meisten Kindergedichte können auch als wortwörtliche Gebrauchstexte im Unterricht verwendet werden. So auch das Gedicht Tierkonzert, das sogar für Muttersprachler-Kinder zur Wortschatzerweiterung geeignet ist. Die SchülerInnen können sich selbst ausprobieren, indem sie z.B. in zwei Gruppen arbeiten. Die Mitglieder der einen Gruppe ahmen die „Sprachen“ der einzelnen Tiere nach, während die SchülerInnen aus der anderen Gruppe die nachgeahmten Tiere benennen sollen. Eine andere Möglichkeit ist: eine Gruppe beschriftet ihre Mitglieder mit Tiernamen, während die anderen die entsprechenden Sprachen nachahmen.