Schreiben Sie uns: lehrbuch@udpi.hu

Helmut Herman Bechtel - Zoltán Szendi
Tradition und Modernität in der ungarndeutschen Literatur

Robert Becker: Baum

Robert Becker: Baum

 

 

Stamm steigt:
in den Boden
mit Wurzel
mit Ast
gen Himmel.
lass mich Herr
kein Brennholz werden!

(1998)

 

Interpretation

Das Gedicht Baum von Robert Becker ist in die Gattung der kurzen Gebete einzuordnen. Die erste Einheit des Textes beschreibt die menschliche Existenz durch die Symbolik des Baumes.

Der Text interpretiert das menschliche Leben zwischen den klassischen Anziehungskräften von Himmel und Erde. Der Boden markiert die biologische und materielle Bestimmtheit der Existenz, der Himmel steht für die transzendentale Orientierung des Menschen. Das Bild des lebenden Baumes stellt die Ganzheit der menschlichen Existenz und in der Beziehung mit der transzendentalen Schicht die Möglichkeit eines glücklichen Lebens dar.

Während die ersten fünf Zeilen sich auf die Beschreibung einer existenziellen Situation beziehen, beinhalten die letzten zwei Zeilen den Ausbruch eines Gebets, das an Gott gerichtet ist. Mit der deklarativen Beschreibung des Aussagesatzes (mit Punkt am Ende) steht hier als Gegensatz ein Ausrufesatz (mit Ausrufezeichen am Ende). Der Wechsel in der inhaltlichen und logischen Struktur des Textes wird außerdem mit dem Gegensatz zwischen dem lebenden Baum und dem Brennholz-Dasein markiert. Die Ängste vor dem Brennholz-Werden deuten auf die biologische Vergänglichkeit des menschlichen Lebens hin. Die Verknüpfung des Holzes mit dem Begriff des Feuers führt den Gedankengang auf eine psychologisch-existenzielle Ebene: sie stellt die Furcht des Menschen vor der seelischen Verlorenheit dar.