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IV. Liebeslyrik

IV. Liebeslyrik

Die Liebeslyrik stellt eine Art Paradoxie in doppeltem Sinne dar. Einerseits deshalb, weil sie die intimsten Gefühle des Menschen vor der größten Öffentlichkeit freilegt, andererseits wegen des eigenartigen Widerspruchs, der zwischen der Einmaligkeit des Liebesgefühls und dessen Allgemeingültigkeit besteht. Der erste Fall der Paradoxie kann wohl damit erklärt werden, dass zu den DichterInnen eine überdurchschnittliche Sensibilität und ein Mitteilungsbedürfnis zum Wesen ihres Künstlerberufs gehören, und diese auf die Darlegung der intensivsten und wichtigsten Erlebnisse wie Liebesleidenschaft keineswegs verzichten können und wollen. Das zweite Paradox ist darauf zurückzuführen, dass das elementare Liebeserlebnis zwar immer nur individuell zu erfahren möglich ist, jedoch zugleich zu den allgemeinmenschlichen Daseinserlebnissen gehört und gerade deshalb am leichtesten mitgefühlt werden kann. Trotz aller historischen, kulturellen und nicht zuletzt individuellen Unterschiede sind die Grunderlebnisse wie Glückserfüllung und sinnlicher Rausch auf der einen Seite, Liebeskummer, Enttäuschung und bitterer Zorn auf der anderen, immer ganz ähnlich.

Die Unterschiede in der Liebeslyrik sind deshalb nicht in der Thematik, sondern viel mehr in der poetischen Sprechweise zu suchen. Aus dieser Sicht ist aber zugleich eine deutliche Parallele zu den allgemeinen Tendenzen in der Entwicklung der ungarndeutschen Literatur nach 1945 zu sehen, die mit dem Begriff Modernität zusammengefasst werden kann. Einige von deren Wesensmerkmale sollen auch hier erwähnt werden: eine zusammengesetztere Metaphorik, experimentierende Lust zum Spielerischen und zur Abstraktion. Hinzu kommt in einigen Texten als themenspezifisches Merkmal die betonte oder überbetonte Erotik bzw. Sexualität, was dem „Zeitgeist“ unserer, von beinahe allen Tabus befreiten postmodernen Epoche entspricht.