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Valeria Koch: Alle meine Freunde

Valeria Koch: Alle meine Freunde

 

Valeria Koch gehört zu jener ungarndeutschen Dichtergeneration nach 1945, deren Vertreter unmittelbar Anknüpfung an die klassische und moderne deutschsprachige Literatur bewusst gesucht und erfolgreich gefunden hat. Dieser intellektuelle Anspruch auf breiteren Horizont war zweifach motiviert: Einerseits durch den spontanen Wunsch, aus der ländlichen Enge auszubrechen, andererseits durch die akademische Ausbildung, die – trotz der einschränkenden Wirkung der sozialistischen Kultur- und Unterrichtspolitik ­­­­– für die angehenden Dichterinnen und Dichter eine intensive Aneignung der deutschen Literatur und Kultur ermöglichte.

Alle Formen der diesbezüglichen interkulturellen und zum Teil intertextuellen Bezugnahmen stellen zugleich mehrschichtige Bekenntnisse dar: Hingabe an die berühmten Repräsentanten der deutschen und europäischen Kultur, ironische Selbstbehauptung durch die ferne „Verwandtschaft“ und selbstironische Kenntnisnahme der Hindernisse in den geistigen Annäherungen.

 

Alle meine Freunde 

helfen mir
das MANNigfaltige Herum-HEIDEGGERn
auf dem WITTGENSTEINreichen Weg
HÖLDERLINdern
so verWEILe ich zwar KRAUS ohne HEGELd
oft auch MOZARTbitter
dennoch RILKEnnerisch
als MUSILlusion beKAN(n)T
bis zur LENZenden VIVALDIgen BACHklaren
VOGELWEIDE
des ZusammenBROCHs

(1981)

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Welche von den im Gedicht erwähnten Namen sind Ihnen schon bekannt?

2. Forschen Sie in Lexika oder im Internet nach den unbekannten oder weniger bekannten Namen und finden Sie heraus, wer diese Personen sind.

3. Enträtseln Sie die Bedeutungsmöglichkeiten des pointierten Namenspiels.

 

Interpretation

Der humorvolle Katalog, das heiter-ausgelassene Spiel mit den Namen von berühmten Vertretern der deutschsprachigen Kultur zeugt von einer umfassenden Bildung der Autorin. Es weist zugleich deutliche Präferenzen der Autorin auf: Sie erwähnt z.B. als erstes Thomas Mann und Heidegger – und über Heidegger schrieb die Dichterin ihre Dissertation. Mit der Bemerkung „ohne HEGELd” deutet sie dagegen ihren Vorbehalt gegen den anderen Klassiker der deutschen Philosophie an.

Trotz der aphoristischen Kürze und des beinahe übermütigen leichten Tons sind die humorvollen Hinweise doch treffend, so z.B. in der Hervorhebung der Klarheit in der Musik von Bach oder den frühlinghaften Schwung bei Vivaldi. Der vollständige Text ist außerdem ein scherzhaft, ironisch narrativer Bericht über die überwältigenden Begegnungen während der geistigen Reisen. Der dichterischen Attitüde bei dem Entwurf dieses spaßhaften Panoramas, der wohl echte Huldigung vor diesen Geistesfürsten bedeutet, ist jedoch auch nicht schwer das Selbstbewusstsein der Dichterin selbst zu entnehmen. Das stolze Gefühl, in diesem „freundschaftlichen Kreis“ selbstsicher und bewandert verkehren zu können, wird hier deutlich.