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Valeria Koch: Ungarndeutsch; Koloman Brenner: Ungarndeutsch; Angela Korb: Ungarndeutsche

Valeria Koch: Ungarndeutsch; Koloman Brenner: Ungarndeutsch; Angela Korb: Ungarndeutsche

 

Aufgaben vor der Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Sammeln Sie Begriffe, die Ihrer Meinung nach mit dem Ausdruck „ungarndeutsch“ zusammenhängen.

Valeria-Koch-Ungarndeutsch

2. Im Titel der jeweiligen Texte verbergen sich die Namen von zwei Völkern. Sammeln Sie historische, soziale und kulturelle Begriffe, die die zwei Nationen miteinander verbinden.

 

Valeria Koch: Ungarndeutsch

ist das Maß
des tüchtigen Aussterbens

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Überlegen Sie, in welcher grammatischen Beziehung der Titel zu dem Text des Gedichtes steht.

2. Wandeln Sie das Gedicht zu einem Prosa-Text um. Verwenden Sie die Interpunktionszeichen.

3. Aus wie vielen Sätzen besteht der Text?

4. Überlegen Sie, welche Bedeutung die einzelnen Wörter des Textes haben können.

5. Welche Gattungsmerkmale können Sie im Text erkennen?

6. In welchem Zusammenhang steht die Gattung des Textes mit dem Text-Inhalt?

7. Wo könnte Ihrer Meinung nach dieser prophetische Satz der Dichterin stehen?

8. Bilden Sie ein Diskussionsforum: Diskutieren Sie darüber, ob Sie mit der Aussage des Textes einverstanden sind oder nicht. Achten Sie darauf, Ihre Meinung immer mit entsprechenden Argumenten zu untermauern.

9. Seit der Entstehung des Gedichtes von Valeria Koch ist ein Viertel Jahrhundert vergangen.

a) Forschen Sie nach, wie sich die Lage der deutschen Minderheit in Ungarn in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.

b) Stellen Sie Ihr Ergebnis in der Gruppe vor. Als Schlüsselwörter können folgende Begriffe dienen: Sprache (Dialekt, Hochsprache), kulturelle Autonomie, Selbstverwaltung, Bildungswesen.

 

Aufgaben vor der Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Die Gedichte von Koloman Brenner und Angela Korb tragen denselben bzw. ähnliche Titel, als der Text von Valeria Koch.

a) Was meinen Sie, was hat die Titelwahl der Autoren motiviert?

b) Was meinen Sie, welche thematischen Schwerpunkte werden diese Gedichte haben?

c) Sammeln Sie Ihre Vermutungen an der Tafel und überprüfen Sie diese nach der Bearbeitung der Texte.

 

Koloman Brenner: Ungarndeutsch

Die Fränkin meinte bitterbös:
tüchtig aussterben

Programm läuft
wie vorgesehen

aber Paar Momente
wenn mit Freunden
noch deutsches Wort herrscht
und zergeht bittersüß in unserem Mund
zaubern richtigfarbene Welt hervor
und die Wirbel im Rückgrat sitzen
auf einmal fester

lachen wir dabei
wenigstens

Es war gute Arbeit
und jeder kommt
in den ungarischen Himmel

(2001)

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Unterstreichen Sie im Text die konkreten Anspielungen auf das Gedicht von Valeria Koch. Erörtern Sie auch die Bedeutung dieser Hinweise.

2. Der Text gliedert sich in fünf Einheiten. Geben Sie den einzelnen Strophen einen charakteristischen Titel.

3. Vergleichen Sie die zwei Gedichte miteinander und füllen Sie die folgende Tabelle aus.

Ähnlichkeiten

 

Unterschiede

 

Form

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

 

 

 

 

4. Sprechen Sie in der Gruppe anhand der Tabelle darüber, wie die intertextuelle Vernetzung den Inhalt des Brennerschen Gedichtes bereichert.

5. Welche Zeitschichten tauchen im Gedicht auf? Welche historischen, sozialen und kulturellen Erscheinungen können diesen Zeitschichten zugeordnet werden? Füllen sie dazu folgende Tabelle aus.

Zeitschichten

historische, soziale und kulturelle Erscheinungen

 

 

 

 

 

Prophezeiung der Dichterin

 

 

 

 

 

 

Zukunft

 

 

 

 

6. Diskutieren Sie paarweise darüber, was die Begriffe „Programm läuft“ und „ungarischer Himmel“ bedeuten können.

7. Wie modifiziert das Gedicht von Koloman Brenner die urteilhafte Prophezeiung des Epigramms von Valeria Koch?

8. Was ist das wichtigste Argument im Text für die Existenz der ungarndeutschen Kultur?

9. Verfassen Sie anhand der Analyse einen Lexikonartikel zum Begriff Intertextualität.

 

Angela Korb: Ungarndeutsche

gepriesen vertrieben
gekreuzigt begraben
gelassen verlassen

             *

Die erste Generation starb
- die Überlebenschancen waren gering.
Die zweite Generation lebte
- sie war überwiegend kräftig
Die dritte Generation glaubt zu leben
- die unterste Stufe des Seins ist auch
mehr als Nicht-Sein!

             *

Der Chor der Engel
unter der Leitung
des begnadeten Luzifers
gibt am 666. Tag
des himmlischen Karnevals
ein Festkonzert im
goldenen Saale des
Wolkenpalastes.
Der Eintritt ist Himmelsbewohnern
freigestellt,
die Siedler von Dantes Hölle
dürfen das Konzert durch
feurige Luftröhren verfolgen.
Alle Interessenten werden
herzlichst eingeladen.
Die Sektion der Ungarndeutschen
erhält Sonderkarten
an der himmlischen Sparkasse.

(2003)

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Geben Sie den einzelnen Strophen des Gedichtes einen charakteristischen Titel.

2. Überlegen Sie, in welcher formalen und thematischen Beziehung die einzelnen Einheiten mit den Werken von Valeria Koch und Koloman Brenner stehen.

3. Vergleichen Sie die formalen Lösungen und die sprachlichen Mittel der drei Strophen miteinander.

4. Versuchen Sie die Infinitiv-Formen der ersten Einheit im Zusammenhang mit der ungarndeutschen Geschichte und mit den sakralen Anspielungen zu interpretieren. Entscheiden Sie, welche Schicht für die einzelnen Begriffe charakteristischer ist. Füllen Sie dazu folgende Tabelle aus.

5. Mit welcher Volksdichtung steht die zweite Strophe des Gedichtes in Verbindung?

a) Vergleichen Sie die zwei Texte miteinander.
b) Diskutieren Sie über die Bedeutung der thematischen Unterschiede.

6. Interpretieren Sie die kulturellen, religiösen und literarischen Anspielungen der dritten Einheit.

 

Interpretation

Der berühmte Zweizeiler von Valeria Koch ist 1989 im Gedichtband Sub rosa erschienen. Der Satz ist schnell zu einem viel diskutierten, geflügelten Wort der ungarndeutschen Öffentlichkeit geworden. Der Titel bildet zusammen mit den zwei Zeilen den einen einzigen Satz des Textes, der als eine untrennbare Einheit den Untergang der Minderheit prophezeit.

Bei Nicht-Berücksichtigung der zwei Artikel besteht der Text aus fünf Lexemen, die über eine inhaltliche Bedeutung verfügen: Ungarndeutsch, ist, tüchtig, Maß, Aussterben. Die Wortkonstruktion Ungarndeutsch ist in der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur kanonisierten Bezeichnung der deutschen Minderheit des Landes geworden. Der Singular 3. Person des Verbes sein deutet in der urteilhaften Aussage des Satzes auf einen gegenwärtigen Zustand hin. Im Oxymoron des tüchtigen Aussterbens ist das Attribut tüchtig das stereotypische Merkmal der Minderheit, das sich im Text mit der Vision vom Tode der Volksgruppe verknüpft. In dieser Spannung der Begriffe erscheint sowohl das Bild des heldenhaften Todes, als auch der apathischen Ergebenheit. In diesem Prozess geht es natürlich nicht um einen materiell-biologischen Untergang, sondern um die stille Assimilation mit dem Verlust der eigenen Kultur, in der die Mitglieder der Gemeinschaft keinen Widerstand mehr leisten.

Der Text führt uns zu den Anfängen der Epigrammendichtung zurück, als die griechische Gattung noch als eine magische Grabinschrift diente. Der Text stand durch die Macht der Worte mit der Seele des Verstorbenen in unmittelbarer Verbindung. In diesem Sinne ist der Titel des Textes der Name des Verstorbenen und der Text des Gedichtes die Inschrift auf dem Grabstein. Die wortkarge Bruchteilhaftigkeit des Textes symbolisiert die Abbröckelung der Kultur, deren Schicksal als gestempelt erscheint. Die Textwelt öffnet einen virtuellen Friedhof vor den Augen des Rezipienten und repräsentiert die Tatsachen der soziokulturellen Assimilation. Durch das Bild des Grabsteins erscheint auch das Kreuz in der Symbolik des Textes. Die Geschichte des Volkes wird dadurch mit der sakralen Leidensgeschichte von Christus im Evangelium in Verbindung gesetzt.

Koloman Brenner eröffnete mit seinem Gedicht Ungarndeutsch eine intertextuelle Diskussion zum gleichnamigen Thema in der ungarndeutschen Literatur. Er verknüpft seinen eigenen Gedankengang bewusst mit dem Gedicht von Valeria Koch: „Die Fränkin meinte bitterbös: tüchtig aussterben”. Der zweite Text ruft ebenfalls die Visionen des Untergangs wach: „Programm läuft wie vorgesehen”, wobei er nicht die Vorstellung teilt, dass dieser Prozess beendet wäre. Die Konjunktion aber deutet auf einen Gegensatz mit dem ersten Gedicht hin und löst damit die Abgeschlossenheit der dargestellten Phänomene auf. Das lyrische Ich erscheint hier als ein Zeuge, der die Existenz der Gemeinschaft als etwas Lebendiges erlebt und davon auch Zeugnis ablegt: „aber paar Momente / wenn mit Freunden / noch deutsches Wort herrscht / und zergeht bittersüß in unserem Mund / zaubern richtigfarbene Welt hervor / und die Wirbel im Rückgrat sitzen / auf einmal fester”.

Im Gedicht wird auch das Pfand der Zukunft der Minderheit manifestiert: wenn in den Reihen der Gemeinschaft das deutsche Wort noch zu hören ist, kann man noch über die Existenz der Minderheit sprechen. Damit wird die Sprache als definitives Zeichen der Kultur erwähnt, deren Verlust dagegen die Erfüllung der Kochschen Prophezeiung bedeuten würde. Die heroische Stimmung des ersten Gedichts wird von Brenner mit Humor gelöst: „lachen wir wenigstens dabei”. Sogar die angesprochene transzendentale Narrative wird hier auf eine ironische Art dargestellt: „Es war gute Arbeit / und jeder kommt / in den ungarischen Himmel”. Anstelle eines Mythologisierens deutet der Text durch die Programmhaftigkeit eher auf die bewusste Einschmelzung der Minderheiten in gewissen Perioden des 20. Jahrhunderts hin.

Das Tryptichon von Angela Korb Ungarndeutsche erweitert den Dialog zu einem intertextuellen Dreieck. Das Thema, das Mythologisieren und der lakonische Stil der ersten Strophe verknüpfen das Gedicht mit dem Text von Valeria Koch. Die Geschichte der Minderheit betrachtet sie jedoch ähnlich wie Brenner nicht als eine abgeschlossene Einheit. Obwohl das Gedicht die Leidensgeschichte ebenfalls thematisiert, werden die Fragestellungen mit narrativen Passagen ironisiert.

Die intertextuellen Beziehungen zwischen den einzelnen Werken der ungarndeutschen Literatur beweisen eine lebendige und bewusste literarische Tradition. Die Texte repräsentieren daneben eine Strömung innerhalb der Literaturszene, die seit den 1980er Jahren die Bedrohung von Assimilation und Sprachverlust mit immer radikaleren Tönen thematisiert.

 

Weiterführende Aufgaben (klicken Sie hier)

1. Bearbeiten Sie folgende Aufgaben in Gruppen.

a) Sammeln Sie Merkmale, die Ihrer Meinung nach eine Minderheitenkultur von der Kultur des Mehrheitsvolkes unterscheiden.

b) Diskutieren Sie darüber, welche dieser Merkmale für die ungarndeutsche Kultur von definitiver Bedeutung sind.

2. Suchen Sie in der Textsammlung nach Gedichten, die mit dem Werk von Valeria Koch in einer intertextuellen Beziehung stehen können. Untersuchen Sie die Beziehung der Texte zueinander, und stellen Sie dar, in welcher Form sich die intertextuelle Relation äußert.

3. Suchen Sie nach anderen Werken in der ungarndeutschen Literatur, die miteinander in einer intertextuellen Beziehung stehen.