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Josef Michaelis: Branauer Schwäbin

Josef Michaelis: Branauer Schwäbin

 

Aufgaben vor der Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Überlegen Sie, wo die meisten Deutschen in Ungarn leben. Zählen Sie die wichtigsten Siedlungsgebiete der Minderheit auf.

2. Bilden Sie ein Diskussionsforum und sprechen Sie darüber, welche Rolle die einzelnen Generationen in der Fortsetzung der ungarndeutschen Kultur spielen können.

3. Finden Sie die deutschen Namen der Komitate mit Hilfe einer deutschsprachigen Landkarte heraus.

4. Der Titel des Textes stellt eine bestimmte Person dar. Sprechen Sie darüber paarweise, wie Sie sich diese Person vorstellen.

Josef Michaelis: Branauer Schwäbin

Mit ihrer Enkelin
spricht sie ungarisch.
Deutsch
mit ihrem Hund,
ihrer Katze,
mit Fotos,
ihrem Gebetbuch,
ihren Verstorbenen,
mit sich selbst. Bald,
im Kleindorf als Letzte,
mit Gott?

(2000)

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Welche Personen, Gegenstände und Tiere lassen sich mit den beiden Sprachen im Leben der dargestellten Figur verknüpfen? Füllen Sie dazu folgende Tabelle aus.

 

ungarische Sprache

deutsche Sprache

Personen

 

 

 

 

Gegenstände

 

 

 

 

Tiere

 

 

 

 

2. Ergänzen Sie zu den eingetragenen Begriffen die einzelnen Zeitebenen. Verwenden Sie dabei folgende Zeichen:
V – Vergangenheit
G – Gegenwart
Z – Zukunft

3. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Tabelle im Bezug auf die Sprachverwendung schließen?

4. Überlegen Sie, welche Beziehung eine Schlüsselrolle dabei spielt, wie die Zukunft der deutschen Sprache sich entwickeln wird.

5. Diskutieren Sie in der Klasse darüber, in welchem Sinne die sprachliche und kulturelle Lage der Branauer Schwäbin als symbolhaft betrachtet werden kann.

6. Überlegen Sie, welche Ursachen dazu führten, dass sich die Frau im sprachlichen und kulturellen Sinne vereinsamt hat.

7. Sprechen Sie über die sprachliche Situation der deutschen Minderheit. Diskutieren Sie dabei auch, welche Rolle Ihrer Meinung nach die Sprache in der Erhaltung der Kultur spielt.

8. Was kann über die Länge der Zeilen im Gedicht ausgesagt werden? Worauf kann aus dieser formalen Lösung geschlossen werden?

9. In welchem Zusammenhang steht die formale Wortkargheit des Gedichtes mit dem dargestellten Inhalt?

 

Interpretation

Das Gedicht Branauer Schwäbin (2000) von Josef Michaelis knüpft an die ungarndeutsche Gegenwartliteratur an, die die Frage nach der Sprache in Zusammenhang mit den Schicksalsfragen der Gemeinschaft zu ihrem Thema machen. Für dieses emblematische Gedicht erhielt der Dichter im Jahre 2006 den 2. Preis beim Literaturwettbewerb der Künstlergilde in Esslingen.

Schon allein der Titel Branauer Schwäbin deutet darauf hin, dass das Gedicht die soziale und kulturelle Lage der deutschen Minderheit von Ungarn thematisiert: Als Träger der Mundarten, der Vergangenheit und der Traditionen haben die „schwäbischen Großmütter“ einen symbolischen Charakter in der Identitätsbildung der Nationalität. Das finite Verb „spricht“ (Gegenwart) bildet die sogenannte Kernsubstanz des Gedichtes, wobei das Verb auf zwei Zeitebenen verwendet wird - Vergangenheit und Zukunft. Ebenso ist der Gegensatz zwischen der Verwendung der ungarischen und der deutschen Sprache in verschiedenen Situationen ein strukturbildendes Element des Textes. Die Substantive im Text markieren die Bindung zu den verschiedenen zeitlichen Dimensionen der Gemeinschaft und die unterschiedlichen Zeitschichten folgen in nicht-linearer Ordnung.

Das Gedicht wird mit einem prophetischen Satz über das Schicksal der ungarndeutschen Gemeinschaft eröffnet: „Mit ihrer Enkelin / spricht sie ungarisch.“ Der mahnende Satz deutet durch die sprachliche Bindung der Enkelkinder an die Zukunft der Nationalität hin: Die Verbreitung der Ungarischsprachigkeit und die gescheiterte Kommunikation in der deutschen Sprache zwischen den Großeltern und den nachfolgenden Generationen sind ein Symbol der Assimilation.

Im Mittelpunkt des Gedichtes steht die Branauer Schwäbin, eine sprachlich vereinsamte Persönlichkeit: Ihre Kommunikationsmöglichkeiten beschränken sich auf ihre Muttersprache, im Horizont der Gegenwart auf ihre Haustiere und auf Gott. Ihre Gegenstände (Fotos, Gebetbuch) stellen die Bindung des Individuums zur Vergangenheit dar. Die Frau ist mit ihren konservativen sozialen und kulturellen Gegebenheiten (Glaube, Minderheitensprache, Wohnort in einem Kleindorf) an die Peripherie der Gesellschaft gedrängt.

Das Gedicht thematisiert im Spannungsfeld der zwei Sprachen und der zeitlichen Dimensionen die Assimilation der Minderheit mit einer melancholischen Gelassenheit. Das Fragezeichen am Ende des Textes lässt aber die Entwicklung des Ungarndeutschen für die Zukunft offen.