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Emil Magvas: Ungarndeutsche Auswanderer nach Amerika

Emil Magvas: Ungarndeutsche Auswanderer nach Amerika

(Auszug)

(Leseverstehen)

Zur Besiedlung und wirtschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika haben auch Ungarndeutsche ihren Beitrag geleistet. Insbesondere in den Jahrzehnten von 1880 bis zum 1. Weltkrieg, aber auch in den 1920er und 1930er Jahren und dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten viele Deutsche aus Ungarn nach Übersee aus, vorwiegend in die USA.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerungszahl des Königreichs Ungarn stark an. Wurden bei der Volkszählung 1880 noch 13,7 Millionen Personen gezählt, so waren es 20 Jahre später, im Jahr 1900 bereits 16,8 Millionen und weitere 10 Jahre später, im Jahr 1910 schon 18,2 Millionen (jeweils ohne Kroatien und Slawonien). Zum Vergleich: Heute leben in Ungarn auf einer Fläche, die nur ein Drittel des damaligen Staatsgebietes ausmacht, 10 Millionen Menschen.

Die im Allgemeinen große Kinderzahl in den bäuerlichen Familien führte auch dazu, dass sich eine Erbschaft viele Erben teilen mussten. Die Lebensgrundlage für eine wachsende Bevölkerungszahl war auf dem Land nicht gegeben. Bei prinzipieller Gleichberechtigung aller Erben mussten die weichenden Erben ausbezahlt werden, was wegen fehlender mittel oft nicht möglich war. Es kam zu Überschuldungen von Bauernwirtschaften. Die überzählige Bevölkerung wurde aus dem Dorf in die Stadt abgedrängt. In vielen Fällen fand sie Arbeit und Brot in der Hauptstadt Budapest, in zahlreichen Fällen suchte sie das Glück gleich in Amerika.

So gewinnt ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts die Auswanderung aus Ungarn nach Amerika an Bedeutung. Gebiete mit besonders hoher Abwanderung waren die Komitate von Oberungarn (heute Slowakei) sowie von Siebenbürgen (heute Rumänien). Überdurchschnittlich war auch die Abwanderung von Menschen aus den Komitaten Westungarns, die einen hohen Anteil von Deutschen hatten, so aus den Komitaten Wesprim/Veszprém, Ödenburg/Sopron, Raab/Győr, Wieselburg/Moson und Tolnau/Tolna.

Im Jahrzehnt von 1901 bis 1910 waren Deutsche mit knapp 12% an den Amerika-Auswanderern aus Ungarn beteiligt. Das entsprach etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Dominierend bei den Auswanderungszielen waren stets die USA. Um die 90% aller Überseeauswanderer gingen dorthin. Nach der Jahrhundertwende gewann auch Kanada eine gewisse Bedeutung. Zeitweise und später spielten auch Brasilien und Argentinien eine Rolle.

Bis zur Jahrhundertwende 1899/1900 lagen die jährlichen Auswandererzahlen aus Österreich-Ungarn nach Übersee unter 50 000 Personen. 1903 überschritt die bereits die 100 000 und erreichte im Jahr 1907 mit rund 170 000 Personen ihren Höhepunkt. Die meisten Auswanderer bestiegen in Hamburg oder Bremen das Schiff, von wo eine Überseefahrt nach New York 8 bis 10 Tage dauerte. Viele verließen Europa aber auch über den damaligen ungarischen Adriahafen Fiume (heute Rijeka, Kroatien). Von dort dauerte die Überfahrt zwei Wochen.

Verhältnismäßig viele Auswanderer aus Österreich-Ungarn siedelten sich in den US-Staaten New York, Pennsylvania und Illinois an. In der Stadt Chicago z.B. stammten über 6% der Einwohner in 1910 aus Österreich-Ungarn, in New York und in Pittsburgh jeweils 4%, in Cleveland (Staat Ohio) sogar 7,5%.

Der Beginn des neuen Lebensabschnittes in Amerika war nicht leicht. ein unbekanntes Land mit unbekannten Lebensumständen erwartete die Neuankömmlinge. Diese arbeiteten als Lohnarbeiter in Fabriken, als Bergarbeiter in Kohlen- und Erzgruben, als Tagelöhner auf den großen Farmen oder auch als Hausangestellte. Wer sparsam war, konnte sich einiges auf die Seite legen, so dass er entweder in den Staaten Fuß fassen und sich hocharbeiten konnte oder nach seiner Rückkehr in die europäische Heimat ein vergleichsweise ansehnliches Startkapital hatte. In Ungarn verdiente ein Arbeiter um 1910 im Durchschnitt etwa 750 Kronen im Jahr, in den USA an den 1740 Dollar. Bei einem Kurs von 4 Kronen, 94 Heller für ein Dollar (1913) war das ein beträchtlicher Unterschied.

In nationalen Vereinen suchten die Auswanderer gegenseitige Hilfe und Unterstützung beim beschwerlichen Anfang in der Neuen Welt. Auch ihre Freizeit verbrachten sie oft in landsmannschaftlichen Vereinen, wie sie noch heute in den Staaten weit verbreitet sind.

Unter den Auswanderern aus Ungarn befanden sich auch zahlreiche junge Leute aus Kischlud/Kislőd (Komitat Wesprim). (…) Die Einwohnerzahl von Kischlud betrug im Jahr 1880 1640 Personen. Bis 1890 nahm sie um 100 Bewohner zu, ging aber in den folgenden Jahren wieder zurück, erreichte 1910 die Zahl von 1880 und wies 1920 mit 1551 Einwohnern sogar einen Tiefstand auf. Diese Rückläufige Einwohnerzahl war hauptsächlich auf die einsetzende Auswanderung zurückzuführen. Zwischen 1895 und 1905 sind 200 Kischluder nach Amerika ausgewandert. Und nach dem I. Weltkrieg, von 1920 bis 1930 machten sich noch einmal über 100 Bewohner auf diesen Weg.

Zur Sicherung des Lebensunterhalts für eine wachsende Personenzahl war die verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche, die sich im Eigentum der Bauern befand, einfach zu klein. Die Gesamtgemarkung des Dorfes Kischlud betrug 5025 Katastraljoch, etwa knapp 2900 ha (1937). Davon befanden sich 2500 Katastraljoch (50%) im Eigentum des Wesprimer Bistums und 450 Katastraljoch (9%) im Gemeindeeigentum. Für die 420 selbständigen Bauern blieb da nicht viel an Feldfläche übrig. Viele Bewohner arbeiteten deshalb als Tagelöhner auf den Maierhöfen des Bischofsgutes, als Bergarbeiter in den Kohlengruben der Nachbargemeinden Úrkút und Ajka oder in den wenigen Gewerbebetrieben des Dorfes.

Die Rückkehr aus Amerika war durchaus kein Einzelfall. So kamen z.B. im Jahr 1910 knapp 50 000 Personen aus den USA nach Österreich-Ungarn zurück bei einer Gesamtauswandererzahl von 260 000 Personen im gleichen Jahr. Nicht jeder konnte in der „Neuen Welt“ Fuß fassen, und mancher wollte auch nur eine begrenzte Zeit in Amerika bleiben, um Geld für den Neuanfang in der alten Heimat zu verdienen.

Eine neue Auswanderungswelle erfasste viele nach 1945 aus ihrer Heimat vertriebene Ungarndeutsche. Nach einem kürzeren oder längeren Zwischenaufenthalt in Deutschland landeten sie bei der Suche nach einer neuen Heimat in den USA oder in Kanada. Mitunter übernahmen entfernte Verwandte, die vor Jahren selbst ausgewandert waren, die erforderlichen Bürgschaften und die ersten Hilfen. In anderen Fällen taten das karitative Organisationen. Und wieder bestieg man in Hamburg oder in Bremen das Schiff zur Überfahrt über den Ozean. (…)

Die Heimat fanden diese Auswanderer, wenn sie nicht im Kindesalter waren, in der Fremde kaum. Aber sie fanden mit ihrer Sparsamkeit und ihrem Fleiß im Allgemeinen eine sichere Lebensgrundlage, und ihre Nachkommen wurden „richtige“ Amerikaner, die die Herkunft ihrer Eltern und Großeltern aus dem kleinen Land Ungarn in Europa hoffentlich nicht vergessen haben.

(In: Deutscher Kalender 2012, S. 214-217.)

 

Aufgaben zur Textbearbeitung (klicken Sie hier)

1. Suchen Sie im Text 10 Schlüsselwörter, die mit dem Titel des Textes in unmittelbarer Beziehung stehen.

2. Erklären Sie die folgenden Begriffe des Textes.

Volkszählung:

 

 

Überseeauswanderer:

 

 

Neuankömmling:

 

 

landsmannschaftlicher Verein:

 

 

Tagelöhner:

 

 

3. Entscheiden Sie, ob die Sätze richtig (R) oder falsch (F) sind.

___ Das rasche Bevölkerungswachstum führte vom Ende des 19. Jahrhunderts in Ungarn zu einer Auswanderung nach Amerika.
___ In Siebenbürgen, Oberungarn und in den Komitaten Wesprim, Ödenburg, Raab, Wieselburg und Tolnau war die Auswanderung überdurchschnittlich.
___ 12% der Ungarndeutschen wanderte zwischen 1901 und 1910 nach Amerika aus.
___ 10% der Auswanderer wanderte nach Süd-Amerika.
___ Die meisten Auswanderer fanden in den nordöstlichen Staaten der USA eine neue Heimat.
___ Da die Löhne in den USA viel höher waren, haben die meisten Auswanderer eine steile Karriere gemacht.
___ Die Landsmannschaften waren Verbände, die den Auswanderern geholfen haben nach Amerika zu reisen.
___ Aus der Gemeinde Kischlud wanderte um die Jahrhundertwende mehr als 10% der Bevölkerung nach Amerika aus.
___ Als Hauptgrund der Auswanderung aus Kischlud können die ungünstigen Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft genannt werden.
___ Der Erste Weltkrieg bedeutete das Ende der Auswanderung aus Ungarn.

4. Ordnen Sie die historischen Ereignisse in die richtige Reihenfolge.

___ Die Gesamtgemarkung des Dorfes Kischlud betrug 5025 Katastraljoch, etwa knapp 2900 ha.
___ Ungarn hat 16,8 Millionen Einwohner.
___ 1 Dollar hatte den Wert von 94 Heller.
___ Das Königreich Ungarn hatte 13,7 Millionen Einwohner.
___ In diesem Jahr erreichte die Einwohnerzahl von Kischlud einen Tiefstand.
___ Deutsche sind mit knapp 12% an den Amerika-Auswanderern beteiligt.
___ Nach diesem Jahr bekam die Auswanderung nach Übersee einen neuen Schwung.
___ In Chicago stammten 6% der Einwohner aus Österreich-Ungarn

5. Füllen Sie die Tabelle mit den entsprechenden geografischen Namen aus. Tragen Sie zu den einzelnen Ortschaften auch die Behauptungen ein.

Dorf/Stadt

Region

Land

Kontinent

Behauptung

 

Pennsylvania

     

Kischlud

       
 

Deutschland

   
     

Amerika

 

Ajka

       
 

Kroatien

   

Hamburg

     

a) Das Dorf liegt im Transdanubischen Mittelgebirge und bewahrt auch heute noch seine deutschen Traditionen.
b) Die Stadt verfügt über den größten Hafen von Deutschland. Sie war ein bevorzugter Ausgangspunkt der Überseefahrten.
c) Nordamerikanische Metropole am Treffpunkt der Flüsse Monongahela und Allegheny. Mit ihrer modernen Industrie war sie ein bevorzugtes Reiseziel der Amerikaauswanderer.
d) Die Stadt bildet das kleinste Bundesland von Deutschland.
e) Die Stadt war der bedeutendste Adria-Hafen der Donau-Monarchie. Sie heißt heute Rijeka.
f) Großstadt im US-Staat Ohio. Früher hatte diese Stadt nach Budapest die zweigrößte ungarische Bevölkerung.
g) Ungarische Kleinstadt, die für ihre Bergwerke berühmt ist.

6. Wählen Sie einen Bereich der beschriebenen Auswanderung aus und stellen Sie diesen mit zeitlichen Angaben und Daten in einem Diagramm dar.

7. Versetzen Sie sich in die Lage eines ungarndeutschen Auswanderers. Schreiben Sie aus der neuen Welt einen Brief aus der Perspektive dieses ungarndeutschen Auswanderers an einen Verwandten in die alte Heimat. Beschreiben Sie sowohl die Gründe der Auswanderung, als auch die Verhältnisse in Amerika.