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Ludwig Fischer

 

Ludwig Fischer

 

Autor

* 1929, 02.07.
Karantsch/Karanac

† 2012, 25.11.
Seksard

 

 

 

 

 

Ludwig Fischer steht in der unglücklichen Tradition der permanenten Assimilierung der Ungarndeutschen, die nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn im Jahre 1867 offizielle Staatspolitik war. Selbst Budapest war zu dieser Zeit mehrheitlich deutsch, wurde aber im Laufe der Jahrzehnte zu einer rein ungarischen Stadt, weil das deutsche Bürgertum, und besonders seine Intelligenz, fast zur Gänze magyarisiert wurde. Die deutsche Sprache lebte fast ausschließlich in ländlichen Gegenden und auch da in der Regel nur in der Form von Mundarten weiter. Was Flucht und Vertreibung anbelangt, hat Ludwig Fischer persönlich allerdings bei allem Unglück doch viel mehr Glück gehabt als die Ungarndeutschen gemeinhin. Er stammt aus dem jugoslawischen Teil des Banats und musste am Ende des Zweiten Weltkrieges buchstäblich um sein Leben rennen, um ins “rettende” Ungarnland zu kommen, da die serbischen Terrorgruppen der Tschetniks und andere an allen Volksdeutschen grausame Vergeltung übten, indem sie diese überall, wo sie sie aufgreifen konnten, umbrachten. So kommt es, dass Ludwig Fischer seiner neuen Heimat Ungarn, die ihm das Leben rettete, trotz aller Schwierigkeiten, die das Deutschtum dort auszustehen hatte, zeitlebens von ganzem Herzen zugetan war und ist.

Darin liegt wohl auch der Grund für die Tatsache, dass Fischer meist eine Vertreibungsliteratur in einem allgemeingültigen, allgemeinmenschlichen Sinne schreibt. Diese Thematik impliziert von vornherein eine Atmosphäre der Wehmut, der Nostalgie und der Melancholie. Dabei ist der Autor in Gefahr, in Larmoyanz und Wehleidigkeit zu verfallen. Ludwig Fischers “Grundgefühl” in den meisten seiner Erzählungen ist eine verhalten ausströmende Traurigkeit, die die meisten Rückblenden und Überlegungen seiner literarischen Helden kennzeichnen. Das gilt ganz besonders dann, wenn das Problem der für die Ungarndeutschen so schweren ersten Jahre der Nachkriegszeit behandelt wird. Hier erscheint die Wehmut, die oft auch auf eine Art Trauerarbeit einstimmt, als eine nicht zu überhörende Grundmelodie, die Rückblenden in jene Zeit einschließt. In Fischers 1983 veröffentlichter Erzählung Der Doktor wird der Hauptheld, der an der Universität vom dörflichen Ungarnschwaben zum ungarischen Doktor der Turkologie avanciert ist, Opfer einer universitären “Fehlplanung”. Er erhält die ihm zugesagte Planstelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Universität Fünfkirchen/Pécs, der Hauptstadt der Branau/Báránya, nicht. Er muss stattdessen als Lehrer in eine gottverlassene Kleinstadt an der Donau ziehen. Er “flüchtet” in die Erinnerungen seiner Schulerfolge, die seinerzeit auch die Eltern glücklich machten. Diese stark lyrisch gefärbten Rückblenden sind die literarisch am meisten durchgestalteten Stellen. Das weitere Schicksal dieses “stillen Runtergekommenen”, wie sich der Hauptheld zu Beginn der Erzählung selbst bezeichnet, ist das “Vergessensuchen im Bier” (ein “deutscher Zug”, Ungarn bevorzugen bei der gleichen Art der “Vergangenheitsbewältigung” Wein und Schnaps) und die Vertiefung der Entfremdung von Frau und Sohn, der schließlich Selbstmord begeht. Aber auch jetzt, keine Rebellion, kein Aufschrei. In abgrundtiefer Verzweiflung nur wankt der ungarn-schwäbische Doktor der Turkologie besoffen über das Kleinstadtpflaster. In “schwäbischer” Tüchtigkeit und Hartnäckigkeit hört er nicht auf, sein Leid jedem, den er nur erreichen kann, mitzuteilen, bis er endlich einen Schulinspektor findet, der ihm erstens zuhört und zweitens dann auch noch hilft. Im Übrigen wird hier durch Ludwig Fischer die heile Welt des dreisprachigen Dorfes im jugoslawischen Banat der Vorkriegszeit heraufbeschworen. Der Großvater wird in lyrischen Rückblenden immer wieder ins “Rampenlicht” der Erinnerung geholt als eine Art männliche “Zauberfee”, die dem kleinen Ungarnschwaben gewissermaßen über die schwäbische Mundart den Schlüssel zur deutschen Sprache und Literatur vermacht hat. Im Pensionsalter beginnt der Schwabenenkel, kurze Geschichten zu schreiben. “Vor Jahren bewundert er noch die deutsche Sprache, jetzt mit grauen Haaren bemächtigte er sich dieses Wunders. Das war das Innigste seines Lebens. Es war sein Leben.” Deutlicher hätte man die Grenzen dieser lyrischen “Vergangenheitsbewältigung”, die in einem zu schönen Bild geschieht, kaum fassen können. Hier wird die Spannung “künstlich” gelöst und dabei gleichzeitig “wieder unkünstlerisch”, weil nicht typisch, weil rein subjektiv, mag es teilweise auch autobiographisch auf Fischer zutreffen. Die überwiegende Mehrheit der jungen Ungarndeutschen konnte diesen Weg gar nicht gehen, weil er nur für Leute, die mit einer spezifischen Begabung dafür ausgestattet sind, gangbar ist. So kann der Autor hier nicht als repräsentativ gelten, sondern muss als glücklicher Ausnahmefall verstanden werden. Es spiegelt dies auch die Verhältnisse im dogmatischen sozialistischen Realismus wider, der es eben nicht vermochte, der Wirklichkeit realistisch ins Auge zu sehen. Trotz vieler schöner, gut lesbarer Stellen ist die in Rede stehende Erzählung Fischers darüber hinaus gerade in ihrem Schluss ein Beispiel für die Gefahr, in der die ungarndeutsche Literatur, aber auch jede andere Minderheitenliteratur steht, nämlich aus mangelnder Problemorientierung die Wirklichkeit ganz oder zumindest teilweise aus dem Auge zu verlieren.

Fischers bisher vielleicht beste Erzählung trägt den Titel: Im Weingarten des Herrn Notar. Hier ist die Spannung von Anfang an vorhanden. Eine ungarnschwäbische Familie arbeitet von früh bis spät im Weinberg des Notars, um, auf diese Weise versteckt, der Vertreibung aus der Heimat zu entgehen. Die im Vergleich zum Vater realistischere Mutter hält den Preis an Mühe und Plackerei für viel zu hoch. Die Begegnung des 17jährigen Haupthelden mit einem 19jährigen ungarischen Mädchen, in das er sich verliebt, lässt, im übrigen schnörkellos und nie ohne eine kleine humoristische Note geschildert, auf einen Neuanfang hoffen. Denn gerade die 19jährige Ungarin ist es, die die menschenschinderische Ausbeutung der Familie beenden hilft, indem sie die Versteckten darüber aufklärt, dass die Vertreibung der Ungarnschwaben inzwischen eingestellt worden ist. Die Liebe des Ich-Erzählers zu der jungen Ungarin symbolisiert die Liebe Fischers zu seiner neuen Heimat Ungarn. Die junge Frau steht für die Mutter Ungarn, die allen ihren Kindern ein gerechtes und lebens- wie liebenswertes Leben zu bieten bereit ist. Der dankbare Traum eines von seiner “neuen” Heimat geretteten Angehörigen einer nationalen Minderheit findet hier seine glaubwürdige literarische Gestaltung. Fischer hat den Verlust der Heimat mit tiefen seelischen Verletzungen überlebt und die Fähigkeit entwickelt, diese literarisch fruchtbar zu machen. Wenn er die ausgetretene breite Straße des oberflächlichen Optimismus’ verlässt und die wesentlicheren Nebenwege der Zweifel, Enttäuschungen, unerfüllten Träume und unstillbaren Sehnsüchte nicht scheut, dann sind seine Erzählungen ausgesprochen gute, aussagestarke Regionalliteratur, die eine ganze Menge über ihn selbst, seine Volksgruppe, seine Heimat Ungarn und das Leben schlechthin im inzwischen verblichenen Ostblock mitzuteilen imstande ist. Mit seiner stillen, leisen, häufig leicht wehmütigen, aber immer mitteilungsbereiten und von Herzen kommenden gefühlsdurchpulsten Sprache hat Ludwig Fischer ein Leben lang gegen Kälte und Verdrängung in Ungarn und in der Welt gekämpft, sich zum mitunter flüsternden Fürsprecher von Menschlichkeit, Herzenswärme und Geborgenheit in seiner nicht immer gerade bequemen Heimat Ungarn gemacht. Wo er nur konnte, hat er oft trotz Trauer und Enttäuschung für sie geworben, hat sie ihm doch als Kind das Leben gerettet, was er nie vergessen hat und was aus allen seinen Werken hervorschimmert. Als reifer Mann kann er seiner ungarischen Heimat nun danken, indem er durch seine Erzählungen mithilft, deren Kultur und Menschlichkeit, nicht zuletzt hoffentlich endlich auch ihren Minderheiten gegenüber, in ein neues demokratisches Europa einzubringen.

Weblink: http://www.vudak.hu/96-43645.php

Ingmar Brantsch